Export- und Zollpraxis kompakt

Die Zukunft der Logistik – Güterverkehr auf der Schiene?

Warum sind die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und multimodale Transport- und Logistikketten wichtiger denn je?

Text: Wolfgang Rieß | Foto (Header): © Marco2811 – stock.adobe.com

Die Leistung des Güterverkehrs in Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Das macht sich auch in der Klimabilanz bemerkbar. Denn im Jahr 2019 war der Verkehrssektor insgesamt für 20 % der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Und wenn man weiß, dass Güterzüge pro Tonnenkilometer 80 % weniger CO2 als Lkw verursachen, dann sprechen wir hier von einem gigantischen Umwelteffekt. Schauen wir uns auf den nächsten Seiten den Satus quo des Güterverkehrs auf der Schiene, die weitreichenden Pläne der Politik sowie Beispiele aus der Praxis an.

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe Februar 2022
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Wussten Sie, dass die Güterbahnen im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgern (Flugzeuge, Lkw oder Binnenschiffe) am klimafreundlichsten sind? Nein? Dann habe ich ein paar Fakten für Sie: Der Straßenverkehr verursacht 95 % der Treibhausemissionen. Die Fahrt mit geringerem Widerstand zwischen Stahl auf Stahl als zwischen Gummi auf Asphalt wird von Experten als 5-mal energieeffizienter berechnet. Durch den geringeren Energieaufwand ersetzt eine Güterbahn bis zu 52 Lkw. Außerdem fahren die Bahnen heute schon zu 92 % ihrer Verkehrsleistungen mit Strom, der wiederum zu über 60 % aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Und die Automobilindustrie entdeckt gerade erst alternative Antriebe.

 

Die indirekten Folgekosten des Straßentransports

Die indirekten Folgekosten des Straßentransports (höhere Steuern und Krankenversicherungsbeiträge, Kosten für psychische Erkrankungen durch Lärm, Fahrbahnreparaturen, Zerstörung der Artenvielfalt etc.) belaufen sich auf 149 Mrd. Euro pro Jahr (Stand: Studie Infras 2019). Dabei sind die Kosten, die durch Staus verursacht werden, noch gar nicht berücksichtigt.

Vorteile der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene

Nicht nur der Umwelt- und der damit verbundene Kostenaspekt spricht für die weitere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Sondern es gibt auch andere konkrete Beispiele für eine vorteilhafte Nutzung des Netzwerks:

Sicherheit von Güterzügen
Das Risiko eines Unfalls auf der Schiene ist bis zu 42-mal geringer als auf der Straße.

Güterbahnen schaffen Arbeitsplätze
Knapp 270.000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Bahnindustrie und bei Schienenverkehrsunternehmen. Dabei wird ein Jahresumsatz von ca. 50 Mrd. Euro erzielt. Außerdem braucht Deutschland als Exportnation den Schienengüterverkehr. Als Haupttransitland kommt die Stärke der Bahnen v. a. im Langstreckentransport zur Geltung. Denn auf langen Strecken rentiert sich der Schienentransport besonders.

Wie können Logistikketten auf der Schiene vorangebracht werden?

Um die Vorzüge des Güterverkehrs voll nutzen zu können, braucht dieser sein eigenes Schienennetz, denn aktuell fährt er auf den gleichen Gleisen wie der Personenverkehr, und dieser hat Vorfahrt. Das führt immer wieder zu Wartezeiten, und das kostet Zeit und Energie. Außerdem muss das Schienennetz grundsätzlich dringend ausgebaut werden.

Die Europäische Union (EU) hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis spätestens zum Jahr 2030 sollen in allen Mitgliedstaaten Güterzüge mit einer Standardlänge von 740 m (in Deutschland aktuell 600 m) eingesetzt werden können. Dafür müssen Überholgleise verlängert und Signale versetzt werden. Und ja, der Ausbau des deutschen und des europaweiten Schienennetzes kostet viel, sehr viel Geld.

Nichtsdestotrotz verlagern immer mehr Verlader und Spediteure den Gütertransport auf die Schiene.

 

Kombinierter Verkehr (KV)

Bei dieser Art des Transports erfolgen Vor- und Nachlauf auf der Straße, den Hauptteil der Strecke legen die Transporteinheiten (z. B. Container oder Lkw-Sattelanhänger) auf der Schiene zurück. Dabei wird das KVNetz kontinuierlich durch den Bau neuer Umschlagterminals ausgebaut.

Der KV ist zwar das Segment, das am stärksten wächst, aber die vielen Lkw auf den Transitrouten zeigen, dass das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Des Weiteren können die Unternehmen durch die Schienentransporte ihre logistischen Prozesse wesentlich besser planen. Warum?

  • Weniger Lkw-Verkehr auf dem Firmengelände, evtl. ist ein eigener Gleisanschluss vorhanden.
  • Transporte nach Fahrplan, dadurch höhere Verlässlichkeit (Staus, Unfälle etc.).
  • CO2-Bilanz verbessert das Image eines Produkts.

 

Förderpgrogramm für Unternehmen (KV-Förderung)

Ein eigener Gleisanschluss oder auch eine Verladestation ist grundsätzlich natürlich immer mit spürbaren Investitionen verbunden. Hierfür hat die Bundesregierung ein Förderprogramm geschaffen, durch welches ein Teil der Investitionen getragen werden kann. Allerdings ist die Voraussetzung, um eine solche Förderung zu erhalten, dass Sie sich als verladendes Unternehmen dazu verpflichten, einen bestimmten Mindestumfang auf die Schiene zu verlagern.

 

Die ehrgeizigen Ziele der Politik

Wenn es nach der Bundesregierung ginge, sollen bis zum Jahr 2030 rund 25 % des Güterverkehrs auf der Schiene abgewickelt werden. Dabei beinhaltet der Masterplan vom Bundesverkehrsministerium (BMVI), der bereits im Sommer 2017 aufgestellt worden ist, folgende Eckpunkte:

1. Reduzierung der Anlagen- und Trassenpreise
2. Ertüchtigung des Schienennetzes für Güterzüge mit einer Länge von 740 m
3. Die Verkehrsknoten Hamburg, Köln, Frankfurt, Ludwigshafen/Mannheim/ Heidelberg/Karlsruhe, München und Hannover sollen ausgebaut werden.
4. Sonderprogramm Elektrifizierung
5. Senkung der Stromsteuer und der EEG-Umlage
6. Modernisierung des IT-Systems, um die digitalen Services zu erhöhen und damit wiederum neue Logistik-Geschäftsfelder zu erschließen

Außerdem

7. stärkere Automatisierung im Bereich „Rangieren“ und „Kuppeln“ und Erhöhung der Fahrerassistenzsysteme
8. Aus- und Weiterbildungsoffensive (www.schienenjobs.de)
9. Das europäische Zugsicherungssystem (ETCS) ist für neue Fahrzeuge verpflichtend.
10. Zur Überbrückung von Elektrifizierungslücken sollen elektrische Hybrid- Lokomotiven zum Einsatz kommen.
11. Privilegien (z. B. Befreiung von der Lkw-Maut, Einrichtung separater Fahrspuren etc.) sollen den Kombinierten Verkehr attraktiver machen.
12. LuFV III (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung) mit den Schwerpunkten auf Digitalisierung, Erhaltung, Betrieb und Vermarktung der Infrastruktur
13. und nicht zuletzt die Vereinfachung und Beschleunigung der Planung wichtiger Güterverkehrsprojekte

Warum ist aber dann der Güterschienenverkehr – bei all den Vorteilen und den ehrgeizigen Zielen der Politik – gegenüber dem Straßengüterverkehr immer noch nicht konkurrenzfähig?

Konkurrenzfähige Schiene – Pro und Contra

Folgende fünf Gründe gelten als Grundlage dafür, dass der Gütertransport über die Schiene gegenüber dem Straßengüterverkehr heutzutage immer noch nicht ausreichende Konkurrenz bietet:

1. Güterbahnen zahlen in Deutschland, nach Österreich, die höchste Stromsteuer (1,14 ct/kWh), insgesamt 141 Mio. Euro pro Jahr.
2. Polen und Tschechien lehnen den Einsatz von E-Loks systematisch ab. Dadurch erfolgt der grenzüberschreitende Güterverkehr mit diesen Ländern fast ausschließlich per Lkw.
3. fehlende Überholgleise: Damit die Personenzüge überholen können, weichen Güterzüge auf „Überholgleise“ aus und warten (vergleichbar mit Haltebuchten an Straßen). Güterzüge können dadurch die Längen- und Preisvorteile nicht vollständig ausschöpfen.
4. veraltetes Kupplungssystem: Einzig in Europa erfolgt das Kuppeln immer noch fast ausschließlich per Hand. Dadurch ist die Zusammenstellung von Güterzügen sehr zeitaufwendig und teuer.
5. Viele bestehende, aber auch neu entstehende Gewerbegebiete haben keinen Gleisanschluss. An diesen müssen sich die Unternehmen beteiligen, dagegen werden Straßenanschlüsse ausschließlich über Steuergelder finanziert.

Außerdem gehören noch diese Aspekte dazu:

6. Lkw nutzen Mautlücken (z. B. Bundesfernstraßen), Güterbahnen zahlen auch auf Nebenstrecken Maut.
7. Die Güterbahnen kämpfen preislich gegen einen subventionierten Dieselantrieb auf der Straße.
8. Für jeden E-Lkw oder Gas-Lkw zahlt der Staat einen Zuschuss, für den Kauf von Güterzug-Lokomotiven nicht. Zusätzlich sind diese Lkw komplett von der Maut befreit.
9. fehlende Kostenwahrheit
10. Lkw verursachen pro transportierter Tonne und Kilometer 4,5 ct Folgekosten an Mensch und Natur, Güterbahnen 2,0 ct. Der Straßengüterverkehr verursacht in Deutschland jährlich 28,7 Mrd. Euro Folgeschäden,der Schienengüterverkehr 2,6 Mrd. Euro. Hier muss eine verursachergerechte Zuordnung der Kosten direkt auf die Transportträger erfolgen.
11. Für Unternehmen, v. a. für kleinere Unternehmen, ist der Einstieg in den Schienengüterverkehr komplizierter als in den Straßengüterverkehr. Hier sollte die Branche schnellstens eine unternehmensübergreifende digitale Plattform auf den Weg bringen.

Hat die Bahn in der Gestaltung des Güterverkehrs überhaupt eine Zukunft?

Den privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) kommt eine große Bedeutung zu. Schon heute werden von diesen Unternehmen mehr als die Hälfte aller Güter im Schienengüterverkehr transportiert. Die größte Herausforderung wird sein, die Frage zu beantworten, wie es gelingen kann, weiterhin erfolgreich Güter auf die Schiene zu verlagern. Dabei gibt es eine einstimmige Meinung in der Branche. Laut Brancheneinschätzung müsste der Staat dafür sorgen, dass die Bahn im Wettbewerb zum Lkw besser abschneidet. Dafür könnte ein Ansatz sein, den CO2-Ausstoß des Lkw stärker zu besteuern. Insgesamt muss der Lkw-Transport gegenüber dem Bahntransport spürbar teurer werden. Nur dann hat die Bahn eine Zukunft, denn dann würden alte Gleisanschlüsse reaktiviert, in neue Gewerbegebiete werden – ohne großes Genehmigungsverfahren – Gleisanschlüsse geplant, und der Kombinierte Verkehr nimmt stetig zu. Aber die Bahn muss auch an ihrem Image arbeiten, denn Kundenfreundlichkeit steht an oberster Stelle. Gleichzeitig müssen auch intelligente Systeme in der Logistik entwickelt werden.

Trennung von Netz und DB

Aktuell häufig in der Diskussion steht die aktive Trennung des reinen Schienennetzes vom Konzern Deutsche Bahn (DB). Hintergrund dieser Überlegungen ist, der DB das Bahnnetz zu entziehen und in eine bundeseigene, aber DB-unabhängige Gesellschaft zu überführen. Darin sehen viele Experten die einzige Chance, dass ein echter Wettbewerb des Güterverkehrs auf der Schiene entstehen kann. Natürlich sieht die DB das anders. Derzeit ist die Einschätzung der Politik zu diesem Ansatz noch nicht eindeutig: Der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wies diesen Wunsch nicht zurück. Seine Aussage lautete: „Es werden weitere Gespräche folgen.“

Funktionale Projekte im Bereich des Güterverkehrs

Gemüse von Deutschland nach Italien: Vitamine auf die Schiene
Was macht italienische Pastasoßen besonders lecker? Möhren und Zwiebeln aus Bremen. Von hier aus schickt eine Gemüsebearbeitung ihre tiefgekühlten Vitamine nach Verona in Italien. Die 1.200 km über die Alpen legt das Gemüse bei -18 °C in Tiefkühlaufliegern auf der Schiene zurück. Das spart 100 lange Lkw-Fahrten jedes Jahr.

Einfach effizient: Hausgeräte auf der Schiene
Drei Mal pro Woche fährt ein Zug aus Polen nach Brandenburg. Jeder hat 8.750 Wäschetrockner geladen und spart 50 Lkw-Fahrten. Obwohl die Reise auf der Straße etwas schneller ginge, ist der Bahntransport effizienter: Denn es gibt keine Lkw-Schlangen beim Be- und Entladen und v. a. ist die Bahn pünktlich und entlastet den Lagerbetrieb. Anderes Beispiel: Getränke-Abfüllanlagen. Raus aus dem Stau, ab auf die Schiene Jeden Tag werden Millionen Flaschen, Dosen und Becher befüllt. Seit Anfang 2016 hat das Unternehmen einen eigenen Gleisanschluss. Von dort rollen täglich Waggons mit Maschinen- und Zubehörteilen in den Hamburger Hafen. Pro Jahr werden so 1.750 Lkw-Fahrten eingespart.

Windradlogistik – eine tonnenschwere Herausforderung
Der größte deutsche Hersteller von Windenergieanlagen transportiert übergroße Rotorblätter und Turmsegmente mit der Bahn. Nur die letzte Meile legen die Windrad- Teile auf der Straße zurück. Für den umweltverträglichen Transport wurde ein eigenes Eisenbahnunternehmen gegründet. So werden pro Monat ca. 40 Schwerlast-Transporte des Güterverkehrs auf die Schiene verlagert.

 

Fazit

Der Schienengüterverkehr steht vor großen Herausforderungen, denn die Bahn muss an Attraktivität gewinnen, um gegenüber dem Straßenverkehr konkurrenzfähiger und attraktiver zu werden. Dass das ein sehr, sehr langer, steiniger und kostenintensiver Weg ist, zeigen die Zahlen. Zuletzt verzeichnete die Bahn 5,7 Mrd. Euro Verlust, die Schulden sind mittlerweile auf 30 Mrd. Euro angewachsen. Aber wie sagte Andreas Scheuer unlängst? „Die Klimaziele stehen an oberster Stelle!“ Daher kann und muss es auch das Ziel der neuen Bundesregierung sein, langfristig den Transport von Waren auf das Schienennetz umzustellen und die Vorteile, die sich v. a. für Klima und bei der Berechnung von Folgekosten ergeben, zu nutzen.

Der Autor

Wolfgang Rieß ist Speditionskaufmann und Betriebswirt mit Schwerpunkt Logistik. Er setzte sowohl in der Industrie als auch bei Dienstleistern internationale Projekte um, und er ist Inhaber der Rieß Consulting.

Kontakt:
Tel.: 08207 90223
E-Mail: wolfgang.riess@riessconsulting.de

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