AKTUELLES

Exportkontrolle in der Pandemie

Ein Rück- und Ausblick auf die Entwicklung der Maßnahmen

Text: Fabian Jahn | Foto (Header): © H_Ko – stock.adobe.com

In der Pandemie hat das Exportkontroll- und Zollrecht eine unerwartete Dynamik entfaltet. Innerhalb von Tagen veränderte sich die Rechtslage. Dabei haben Zoll- und Exportkontrollrecht gegenläufige Richtungen eingeschlagen. Während dem Zollrecht zahlreiche Erleichterungen hinzugefügt wurden, verschärfte sich das Exportkontrollrecht exponentiell. Dies ist auch eine Gelegenheit, das Thema Verbringung in der EU ganzheitlich aufzugreifen. Denn nicht alle Lieferungen innerhalb der EU sind ohne Genehmigung möglich – auch außerhalb einer Pandemie.

Auszug aus:

2020-08

Zoll.Export
Ausgabe August 2020
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ZOLL.EXPORT

Die Zeitschrift für Verantwortliche
in der Zoll- und Exportabwicklung

Fast exakt 100 Jahre nach dem Ausbruch der „Spanischen Grippe“ wird die Welt wieder von einer globalen Pandemie getroffen. Zu hoffen ist, dass diese nicht dieselbe Anzahl an Opfer fordert wie die Pandemie vor 100 Jahren. Der „Spanischen Grippe“ fielen bei einer damaligen Weltbevölkerung von etwas mehr als 1 Mrd. Menschen ca. 50 Mio. Menschen zum Opfer.

Der Unterschied zu früher ist der technologische Stand und der deutlich höhere Wohlstand der Weltbevölkerung, der eine bessere Gesundheitsversorgung in vielen Teilen der Welt ermöglicht. Zudem sind Eindämmungsmaßnahmen deutlich strenger und weiter verbreitet als vor 100 Jahren. Letzteres ist wiederum dank des gestiegenen Wohlstands überhaupt erst möglich. Menschen, die keinen Kündigungsschutz ,keinen Zugang zu medizinsicher Versorgung und keine soziale Absicherung haben, können nicht zu Hause bleiben.

Die Corona-Pandemie ist eine reale Krise, die jeder politisch-ideologischer Komponente und Abstraktheit entbehrt. Die Pandemie hat den Reformeifer der Politik geweckt. Reformvorhaben, die seit Jahren diskutiert wurden, wurden über Nacht in Gesetzesform gegossen. Preise für Cent Produkte schossen in die Höhe und wurden ein Politikum.

Die Coronakrise zeigt uns, wie abhängig wir von internationalen Lieferketten sind und als wie verwundbar sich diese erweisen. Selbst der grenzenlose Binnenmarkt der Europäischen Union (EU) war zeitweise faktisch aufgehoben. Über Nacht wurden Regularien für den Export und den Intra-EUHandel von medizinischer Schutzausrüstung (sog. personal protective equipment– kurz PPE) erlassen und im Wochentakt geändert. Produktionen wurden umgestellt
und Lieferketten regionalisiert.

Es wurden von der Politik Maßnahmen ergriffen, deren Umsetzbarkeit durch die politische Klasse jahrelang verneint wurde. Plötzlich waren Grenzen für Menschen geschlossen – sowohl die EU-Binnengrenzen als auch die EU-Außengrenzen. Selbst für Waren war die Überwindung der EU-Binnengrenzen schwierig. Dort stauten sich kilometerlang Lkw-Kolonnen. Selbst innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wurden Grenzen zwischen den Bundesländern überwacht.

Der Zusammenbruch internationaler Lieferketten ist Anlass, darüber nachzudenken, wie diese in Zukunft gesichert werden können. Denn so verständlich der Reflex ist, Produktionen und Lieferketten zu regionalisieren, um die Lieferbarkeit sicherzustellen – unter dem Aspekt eines globalen Wohlstands ist Re-Regionalisierung nicht wünschenswert.

Denn die deutsche Wirtschaftsleistung ist zum einen stark vom Export geprägt, zum anderen ist Export nicht nur im Interesse der exportierenden, sondern auch der importierenden Länder. Erstere sind auf das Geld der Kunden angewiesen, Letztere auf die Waren und Dienstleistungen, um die Versorgung ihrer Bevölkerung zu sichern.

Unternehmen während einer Pandemie

Diese Pandemie ist ein schwerer Schlag für die globale wirtschaftliche Entwicklung. Unternehmen mussten auf staatliche Anordnung hin ihre Geschäfte einstellen und von heute auf morgen Umsatzrückgänge von bis zu 100% hinnehmen. Zahlreiche Unternehmer werden unfreiwillig zu „Unterlassern“.

Auch wenn zahlreiche Staaten versuchen, die Folgen mit Steuergeldern zu mildern und die Konjunktur wieder zum Laufen zu bringen, wird der Weg der Erholung steinig werden. Die Folgen werden noch lange spürbar sein. Die Gelder, die die Staaten ausgeben, sind nur geliehen und werden mit Zins und Zinseszinsen von den Steuerzahlern zurückbezahlt werden müssen.

 

Exportkontrolle in Zeiten der Pandemie

 

Die Exportkontrolle erwies sich zuletzt als sehr dynamisch. Während die Ausfuhr von Gasmasken, dazugehörige Filter sowie Schutzanzüge und bestimmte Handschuhe unter die Exportklassifizierungsnummer 1A005 fallen und daher von jeher der Exportkontrolle unterfielen, wurden die Exportkontrolle und sogar die Verbringungskontrolle pandemiebedingt massiv ausgeweitet.

Am 04.03.2020 wurde eine Rechtsverordnung der Bundesregierung veröffentlicht, nach der der Export und der EU-interne Handel mit medizinischer Schutzausrüstung (PPE) der Exportkontrolle unterworfen wurden. Die Rechtsverordnung trat am 05.03.2020 in Kraft. Davor hatten bereits Italien und Frankreich Exportkontrollen für PPE erlassen. Andere Staaten folgten.

Unternehmen, die entsprechende Schutzausrüstung, z. B. an Tochtergesellschaften, in andere EU-Staaten schickten, rannten urplötzlich in eine Ordnungswidrigkeit. Ebenso wurde der Zoll bei dem einen oder anderen Lieferanten von PPE vorstellig. In Italien hat der Zoll zahlreiche Lieferungen von PPE und Beatmungsgeräte, die für andere EU-Staaten bestimmt waren, beschlagnahmt. Der EU-Binnenmarkt brach für zahlreiche medizinische Güter zusammen.

Am 15.03.2020 reagierte die EU mit dem Erlass einer Verordnung, um den EU-Binnenmarkt für PPE wieder in Gang zu bringen – mit mäßigem Erfolg. Zwar hob Deutschland seine Beschränkungen am 19.03.2020 wieder auf, andere EU-Staaten bleiben aber teilweise bis Mitte Juni noch bei Beschränkungen für den Handel mit PPE.

Darüber hinaus hat die Diskussion um die Investitionskontrolle wieder an Fahrt gewonnen. Die massiven Umsatzverluste haben in der EU-Kommission Befürchtungen geweckt, europäische Unternehmen könnten in großem Stil günstig von ausländischen Investoren aufgekauft werden. Dabei sind potenzielle Investoren gemeint, die aus undemokratischen Ländern stammen. Aus diesem Grund hat die EU-Kommission alle Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, ihre Investitionskontrolle zu intensivieren – und zwar hinsichtlich Breite und Tiefe. Das bedeutet, dass Staaten nicht nur genauer hinsehen sollen, wer investiert, sondern auch, in was. Bisher wurden Investitionen in Unternehmen der Rüstungsbranche, IT-Infrastruktur und neuerdings Medienunternehmen kontrolliert.

Ende Mai hat Deutschland die Investitionskontrolle bereits auf Unternehmen des Gesundheits- und Arzneimittelsektors und auf Hersteller von PPE ausgeweitet. Andere EU-Staaten haben ähnliche Kontrollen eingeführt. Zu erwarten ist, dass auch die Lebensmittelbranche zukünftig erfasst wird.

Weitere Verschärfungen der Exportkontrolle sind von der Bundesregierung
geplant, aber stark umstritten. Entsprechende Entwicklungen sind in anderen
europäischen Ländern in der Diskussion.

 

Verbringungen in der EU

Die Pandemie gibt Gelegenheit, auf die exportkontrollrechtlichen Regelungen für Güterlieferungen in der EU hinzuweisen, die bereits vor der Pandemie galten und auch weiterhin ohne Einschränkungen gelten.

Es herrscht die weit verbreitete Ansicht, dass Lieferungen innerhalb der EU keinen Genehmigungen unterlägen; danach liefe eine Lieferung von München
nach War schau genauso wie eine Lieferung von München nach Hamburg. Für die meisten Güter mag dies zutreffen. Für eine gewisse Anzahl von Gütern bedarf es jedoch trotz des Binnenmarkts der EU einer Genehmigung, deren Nichteinholung bis zu strafrechtlicher Verfolgung führen kann.

Güter, deren Lieferung (Verbringung) innerhalb der EU eine Genehmigung brauchen, sind z. B. in der Feuerwaffenverordnung der EU, im Anhang IV der EUDual-Use-Verordnung, in der Ausfuhrliste der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), im Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) und im Anhang zum Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) aufgeführt.

Im Anhang IV der EU-Dual-Use-Verordnung sind Güter gelistet, deren Verbringung innerhalb der EU einer Genehmigung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bedarf. Da bei umfasst der Begriff „Güter“ nicht nur Waren, sondern auch Software und Know-how (Technologie). Der Katalog des Anhangs IV umfasst v. a. Güter für den Nuklearsektor und Chemikalien. Solche Güter sollen wegen ihrer besonderen
Sensibilität auch innerhalb der EU kontrolliert werden.

Die Ausfuhrliste ist ein Anhang zur AWV. Diese ist in zwei Teile eingeteilt. Teil II ist nur für die Lebensmittelindustrie und den Lebensmittelhandel relevant. Teil I ist unterteilt in die Abschnitte A und B.

Abschnitt A enthält Rüstungsgüter, die unterhalb der Schwelle von Kriegswaffen sind.
Abschnitt B bildet die nationale DualUse-Güter-Liste.

Auf dieser Liste stehen Güter, die nach Auffassung der Bundesregierung geeignet sind, Menschenrechtsverletzung zu begehen oder zu ermöglichen. Entsprechend wird der Handel kontrolliert – sowohl der EU-Binnenhandel als auch Exportgeschäfte. Möchte ein Unternehmen Güter, die auf der Ausfuhrliste stehen, z. B. nach Österreich liefern, dann braucht es eine Genehmigung durch das BAFA.

Das Gesetz zum CWÜ basiert auf einem völkerrechtlichen Vertrag aus dem Jahr 1997. In diesem ist festgeschrieben, dass Lieferungen eines festgelegten Katalogs an Chemikalien, die als Stoffe für die chemische Kriegsführung eingesetzt werden können, zu kontrollieren sind. Wichtig dabei zu verstehen ist, dass nicht nur Kampfstoffe selbst kontrolliert werden, sondern auch Vorstoffe.

Das CWÜ hat nichts mit der EU zu tun. Es sind zwar alle Mitgliedstaaten der EU auch Vertragspartei des CWÜ, die Regelungen des CWÜ stehen aber neben dem EU-Recht und werden nicht durch das EU-Recht verdrängt.

Letztlich sind noch die Regelungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes zu nennen. Die Bewegung von Kriegswaffen braucht immer eine Genehmigung – selbst innerhalb der Bundesrepublik. Kriegswaffen sind entgegen dem weit verbreiteten Glauben nicht nur Dinge, die schießen oder Sprengstoff enthalten. Kriegswaffen sind auch Chemikalien, biologische Kampfstoffe und Gerätschaften, die Laser und Mikrowellen verwenden. Hinsichtlich Chemikalien und biologischer Stoffe kann es zu Überschneidungen mit der EU-Dual-Use-Verordnung und dem CWÜ kommen.

 

Vorgehen bei Verstößen

Verstöße gegen Bestimmungen, die aufgrund der Corona-Pandemie erlassen wurden, sollten noch dieses Jahr aufgearbeitet werden. Unternehmen, die medizinische Schutzgüter wie z. B. Mund-Nasen-Masken zu verbundenen
Unternehmen in anderen EU/EFTA-Staaten geliefert haben oder sich von diesen beliefert haben lassen, haben – sofern sie keine Genehmigung der örtlich zuständigen Behörde hatten – möglicherweise gegen Bestimmungen verstoßen, die sanktionsbewährt sind.

In Deutschland stehen diesbezüglich Ordnungswidrigkeiten im Raum. Ob diese Verstöße aufgrund der chaotischen Zustände und der sich schnell ändernden Gesetzeslage verfolgt werden, wird die Zeit zeigen. Selbst entdeckte Verstöße können im Rahmen einer Selbstoffenbarung – unter anwaltlicher Begleitung – gegenüber den zuständigen Behörden aufgearbeitet werden. Selbstoffenbarungen ohne anwaltliche Begleitung sind nicht ratsam

 

Corona und der Brexit

Ein Thema, welches vor der Coronakrise die mediale Berichterstattung stark prägte, war der Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der EU bzw. das Post-Brexit-Szenario. UK ist seit dem 01.01.2020 nicht mehr Mitglied der EU. Im letzten Quartal des Jahres 2019 einigten sich die Verhandlungsdelegationen auf einen Kompromiss hinsichtlich der zukünftigen Grenze zwischen Irland und Nordirland.

Seit dem 01.01.2020 wird das EU-Recht in UK noch angewendet, jedoch ist klar, dass UK aller Voraussicht zum 01.01.2021 auch die derzeit gültige Rechtsgemeinschaft mit der EU verlässt. Die Pandemie hat die Verhandlungen zwischen UK und der EU gebremst, nicht zuletzt, da auch Mitglieder der Verhandlungspartner, allen voran der EU-Chefunterhändler Barnier, an SARS-CoV-2 erkrankt waren.

Seit April 2020 laufen die Verhandlungen wieder, Anfang Juni hat aber die EU verlautbart, dass man bei diversen Punkten nicht vorankäme. In Anbetracht des Umstands, dass sich der britische Premierminister Johnson – der sich ebenfalls mit SARS-CoV-2 angesteckt hat – durch das Unterhaus gesetzlich verpflichten ließ, bis zum 31.12.2020 einen Vertrag mit der EU präsentieren zu müssen, ist dies eine bedenkliche Fortschrittgeschwindigkeit.

Denn je nach Gestaltung des Abschlussvertrags kommen auf Importeure und Exporteure von und nach UK Änderungen zu, deren Umsetzung Zeit kosten wird. Außerdem müssen solche Umstellungskosten angesichts der stark abgeschwächten Konjunktur erst einmal gestemmt werden.

 

Reform Dual-Use-Verordnung

Die Reform der EU-Dual-Use-Verordnung, die bereits Ende 2018 in Kraft hätte treten sollen, lässt weiterhin auf sich warten. Die rumänische Ratspräsidentschaft hat sich redlich bemüht, eine Einigung herbeizuführen. Während der Rat der EU sich auf einen Text einigen konnte, steht eine Einigung mit dem EU-Parlament noch aus.

 

Zunächst gab es viele Streitpunkte innerhalb des EU-Parlaments, dann brauchte der Rat der EU ein gutes Jahr, um sich auf einen Text zu einigen. Dann verzögerte die Wahl zum EU-Parlament im Mai 2019 die Reform weiter. Nun setzen die Pandemie und die Wirtschaftskrise neue Prioritäten. Zum 01.07.2020 übernahm Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Es bleibt zu hoffen, dass trotz Coronakrise die für die deutsche Exportwirtschaft wichtige Reform der Dual-Use-Verordnung vorangetrieben wird.

 

Um die Exportwirtschaft der EU in Gang zu bekommen, braucht diese Rechtssicherheit. Eine unfertige Reform, die zahlreiche Veränderungen vorsieht, ist genau das Gegenteil von Rechtssicherheit. Angesichts der geplanten Schuldenunion der EU ist eine starke deutsche Exportwirtschaft auch im Interesse aller anderen EU-Staaten.

Der Autor

Fabian A. Jahn ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Zoll- und Außenwirtschaftsrecht.

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