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EXPORTABWICKLUNG UND -ORGANISATION

Tarifierung in der Praxis

Praktische Einreihung von Maschinen und Teilen

Text: Stefan Balling | Foto (Header): © Sergey Nivens – fotolia.com

Die Ermittlung und Konkretisierung der richtigen Tarifposition stellt immer noch viele Unternehmen vor große Probleme. Ob die Einreihung ein Mysterium oder eine machbare Aufgabe ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum einen von der Fachkenntnis über die einzureihenden Waren, zum anderen vom Wissen über die Einreihungsregeln und nicht zuletzt davon, ob die systematischen Allgemeinen Vorschriften stets beachtet werden. Die Schritte der Eintarifierung folgen demnach nicht immer der menschlichen Logik.

Auszug aus:

Zoll.Export
Ausgabe Juni 2017
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Dass sich anhand der richtigen Warennummer Maßnahmen, wie die Höhe der Einfuhrabgabensätze, Verbote und Beschränkungen, Genehmigungspflichten usw. ableiten lassen, ist bekannt. Diesbezüglich wurden „alle“ Waren in einem systematisch aufgebauten Warenverzeichnis erfasst.

Die Kontrolle von Waren und die Erhebung von Zöllen ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern wird schon, unter der Anwendung unterschiedlicher Zolltarif-Systeme, seit Beginn der Entwicklung der Handelsräume vor ca. 6.000 Jahren angewandt.

Heute bildet in Deutschland der Elektronische Zolltarif der deutschen Zollverwaltung die Grundlage für die Eintarifierung bzw. Einreihung.

 

Wer ist für die richtige Eintarifierung verantwortlich?

Betrachtet man die gegenwärtigen gesetzlichen Grundlagen, geht daraus hervor, dass die Verantwortlichkeit im Rahmen der korrekten und vollständigen Abgaben von Zollanmeldungen ausschließlich beim Einführer und Ausführer liegt. Das heißt, dass dieser im Unternehmen die notwendigen Strukturen und Voraussetzungen für die Bestimmung der richtigen Tarifnummern schaffen muss.

Eintarifierung basiert auf Fachwissen und der Anwendung der tariflichen Vorschriften. Das Delegieren an einen Dienstleister ist diesbezüglich mit Vorsicht zu genießen, da er grundsätzlich nicht über ausreichende Fachkenntnisse der einzureihenden Waren verfügt und keinen oder keinen vollständigen Zugang zu technischen Unterlagen wie Zeichnungen, Zusammensetzungen usw. hat.

 

Die Basis: Das Harmonisierte System (HS Code)

Der Elektronische Zolltarif – EZT – baut auf dem internationalen System über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung von Waren aus dem Jahr 1988 auf. Das Harmonisierte System wird heute von mehr als 200 Verwaltungen als Tarifgrundlage angewandt. Der HS-Code ist dadurch praktisch weltweit identisch und einheitlich.

Das System des HS-Codes bezieht sich allerdings „nur“ auf die ersten sechs Stellen der Tarifnummer (heute 5.387 sechsstellig bezifferte HS-Unterpositionen).

Zu beachten ist, dass sich die Tarifnummern ab der siebten Stelle national ändern können und dies in vielen Fällen auch geschieht. Daraus folgt, dass die von ausländischen Lieferanten angezeigten Tarifnummern auf Übereinstimmung mit der Kombinierten Nomenklatur der EU und dem EZT zu überprüfen sind.

Im Harmonisierten System ist aber nicht nur die Tarifstruktur, sondern auch die Vorgehensweise für die Eintarifierung in Form der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des Warenverzeichnisses – AV – vereinheitlicht.

 

Definition der einzureihenden Waren

Bevor man sich mit den Allgemeinen Vorschriften beschäftigt, muss bzw. sollten die Waren vor der Einreihung genau definiert werden. Hieraus können sich folgende Fragestellungen ableiten:

Was sind Teile i. S. d. Tarifrechts?
Im Sinne des Tarifrechts ergibt sich ein Teil beim Zerlegen einer Maschine, eines Apparats oder mechanischen Geräts. Teile werden diesbezüglich bei der Herstellung von vollständigen Waren durch gesonderte Herstellungsprozesse oder Fertigungstechniken hergestellt. Die Einreihung als Teil kann nur erfolgen, wenn die Position der o. g. Waren bekannt ist.

Was fällt alles unter Zubehör?
Beim Zubehör handelt es sich zolltariflich gesehen um Waren, die eine funktionelle Eigenständigkeit aufweisen und die Apparate und Maschinen ergänzen. Zubehör ermöglicht grundsätzlich eine bessere Verwendung der Hauptware oder erweitert dessen Nutzungsmöglichkeit.

Demzufolge handelt es sich beim Zubehör um eigenständige gebrauchsfertige Waren. Die Einreihung in eine eigenständige Tarifnummer ist nicht auszuschließen und wahrscheinlich.

  1. Welche Funktionen führen die Waren aus?
  2. Welche funktionellen Eigenschaften besitzen die Teile?
  3. Kann der Verwendungszweck eindeutig bestimmt werden, oder handelt es sich um Waren mit einer allgemeinen Verwendbarkeit?
  4. Wie ist die Warenbeschaffenheit der Ware? Handelt es sich um vollständige, unfertige oder zerlegte Waren, eventuell um eine Warenzusammenstellung.
  5. Aus welchem Material wurde die Ware hergestellt?
  6. Wenn die Ware aus mehreren Materialien besteht, welches ist das charakterbestimmende Material?

 

Allgemeine Vorschriften für die Auslegung des Warenverzeichnisses (AV)

Sobald die Definition der einzureihenden Waren erfolgt ist, sind die Allgemeinen Vorschriften als weitere wichtige Regeln für die praktische Einreihung der Waren in den Zolltarif zu sehen.

Die Allgemeinen Vorschriften haben im Wesentlichen folgende Aufgaben:

  • Festlegung der Rangfolge und Bedeutung der einzelnen Bestandteile, wie z. B. die stoffliche Beschaffenheit, Verwendung und Funktion der Waren
  • Einreihung der Waren in die zutreffenden Tarifpositionen
  • Klärung von Konkurrenzproblemen bei mehreren Eintarifierungsmöglichkeiten

Die Allgemeinen Vorschriften setzen sich aus sechs Einzelvorschriften zusammen, wobei die Einreihung einer Ware numerisch nach der AV 1 bis AV 6 erfolgt. Im Wesentlichen konzentriert sich dieser Beitrag auf die Allgemeinen Vorschriften 1 bis 3, da in den meisten Fällen eine Einreihung nach der AV 3c feststeht.

Gemäß der AV 1 sind die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.

Der Zolltarif ist diesbezüglich wie folgt aufgeteilt:

  • 21 Abschnitte (römische Bezifferung)
  • 96 zweistellige Kapitel (1 – 97)
  • 222 vierstellige HS-Positionen
  • 528 achtstellige Warennummern

Da für die Einreihung die Wortlaute der Positionen und der Anmerkungen maßgebend sind, sind im ersten Schritt die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln zu prüfen. Diese beinhalten u. a. folgende Anmerkungen:

1. Definitionsanmerkungen
Hier kann als Beispiel die Definition von Teilen mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Abschnitt XV Anmerkung 2 aufgeführt werden. Gemäß dieser Definition sind die aufgeführten Waren wie Stifte, Nägeln, Schrauben, Muttern, Federn usw. allgemein verwendbar. Die Einreihung als Teile scheidet somit aus.

In der Anmerkung 5 A im Kapitel 84 ist z. B. die Definition von automaischen Datenverarbeitungsmaschinen erläutert.

2. Ausweisungsanmerkungen
Im Abschnitt XVI (Maschine, Apparate …) sind in der Anmerkung 1 g) die Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit ausgewiesen. Des Weiteren sind ebenfalls Waren des Kapitels 90 wie z. B. Mess- und Prüfgeräte ausgenommen. Mit Hilfe der Ausweisungsanmerkungen können also schon im ersten Schritt einfache Konkurrenzsituationen aufgelöst werden.

3. Zuweisungsanmerkungen
In den Anmerkungen des Abschnitt XVI unter Punkt 3 ist die Zuweisung von kombinierten Maschinen geregelt.

Wichtig: Eine ordnungsgemäße Einreihung ohne Berücksichtigung der Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln ist nicht möglich.

 

Beispiel 1: Einreihung einer Spritzgießmaschine für die Kunststoffbearbeitung

Bei der Spritzgießmaschine handelt es sich um eine Maschine zum Be- oder Verarbeiten von Kunststoffen oder zum Herstellen von Waren aus diesen Stoffen, in Kapitel 84 anderweit weder genannt noch inbegriffen.

Entscheidend für die Einreihung nach der AV 1 ist der Wortlaut der Position. In den Anmerkungen sind keine weiteren Definitionen, Ausweisungen oder Zuweisungen zu finden. Demzufolge ist die Spritzgießmaschine unter 8477 1000 einzureihen.

Bei eindeutigen Wortlauten der Warennummer kann oftmals die Einreihung bereits nach der AV 1 erfolgen.

Gemäß der AV 2a gilt die Anführung einer Ware auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder unfertigen Ware hat. Sie gilt auch, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt ein- oder ausgeführt wird.

 

Was ist unter einem wesentlichen Beschaffenheitsmerkmal von unvollständiger oder unfertiger Ware zu verstehen?

Wann eine unvollständige oder unfertige Ware die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen oder fertigen Ware aufweist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Eine unvollständige Ware i. S. d. Regel, muss mindestens die maßgeblichen Bestandteile der vollständigen Ware aufweisen.

Eine Unvollständigkeit i. S. d. Regel liegt nur vor, wenn mehr als 50 % der vollständigen Ware gestellt wird. Bei unfertigen Waren handelt es sich um Waren, die bis zur Fertigstellung noch bearbeitet werden müssen (z. B. Warenrohlinge, die die charakteristische Form oder Umriss der fertigen Ware aufweisen).

 

Was sind zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte Waren?

Zerlegte oder noch nicht zusammengesetzte Waren i. S. d. AV sind Waren, deren verschiedene Teile dazu bestimmt sind, entweder durch Hilfsmittel (Schrauben, Muttern, Bolzen usw.) oder z. B. durch Vernieten oder Schweißen zusammengesetzt zu werden, sofern es sich dabei tatsächlich nur um ein Zusammensetzen handelt.

Es kommt nicht auf die Kompliziertheit des Zusammensetzens an. Die Waren dürfen jedoch keiner weiteren Bearbeitung unterzogen werden.

 

Beispiel 2: Zerlegte Spritzgießmaschine

Die Spritzgießmaschine kann wegen ihres Gewichts und ihrer Maße aus transporttechnischen Gründen nicht auf einem LKW verladen werden, sondern muss dementsprechend zerlegt und verpackt werden. Die Endmontage findet erst beim Käufer statt.

Gemäß der AV 2a kann die Einreihung unter der Warennummer 8477 1000 erfolgen, da die Maschine nur für Transportzwecke im zerlegten Zustand befördert wird. In der Zollanmeldung ist entsprechend anzuzeigen, dass es sich um eine zerlegte Maschine handelt und die Lieferung auf mehreren Transportmitteln stattfindet.

Laut der AV 2b gilt jede Anführung eines Stoffes sowohl für den Stoff in reinem Zustand als auch gemischt oder in Verbindung mit anderen Stoffen. Solche Mischungen werden nach den Grundsätzen der AV 3b eingereiht.

Wird also vom Positionswortlaut eine bestimmte stoffliche Beschaffenheit der Ware verlangt und besteht die Ware aus mindestens zwei verschieden Stoffen, ist die Ware unter dem Stoff einzureihen, der ihr den wesentlichen Charakter verleiht. Der charakterbestimmende Stoff kann z. B. durch Gewichts-, Wert- oder Prozentanteile bestimmt werden.

Unterstützend wirken auch hier die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln. In Anmerkung 5 zum Abschnitt XV ist z. B. die Einreihung von Legierungen definiert, weitere Hinweise zu Legierungen sind in den Anmerkungen 1 zum Kapitel 72 zu finden.

Gemäß der AV 3a geht die Position mit der genaueren Warenbezeichnung der Position mit der allgemeinen Warenbezeichnung vor.

 

Beispiel 3: Industrierechner zur Anwendung in einer Spritzgießmaschine der Position 8477

Die Einreihung kann unter automatische Datenverarbeitungsmaschinen der Position 8471 oder unter Teile für Spritzgießmaschinen unter 8477 90 erfolgen.

Erfüllt der Industrierechner die Voraussetzungen der Anmerkung 5A des Kapitels 84, handelt es sich um eine Datenverarbeitungsmaschine i. S. d. Position 8471.

Folglich ist der Industrierechner aufgrund der genaueren Warenbeschreibung unter der Position 8471 einzureihen.

Bei Mischungen gem. der AV 3b werden die Waren nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, welcher ihr den wesentlichen Charakter verleiht. Zur Ermittlung des wesentlichen Charakters können folgende Merkmale herangezogen werden:

  • Gewicht
  • Wert
  • Verwendung oder Funktion
  • Menge

Ist die Einreihung nach der AV 3a und 3b nicht möglich, wird die Ware im Tarif der zuletzt genannten Position zugewiesen.

 

Beispiel 4: Werkzeugaufspannplatte für eine Spritzgießmaschine der Position 8471 aus Stahl
Die Werkzeugaufspannplatte wurde nach den Vorgaben des Herstellers gefertigt, weist jedoch ansonsten keine speziellen Merkmale auf.

In Konkurrenz zur Warennummer 8471 90 Teile für Spritzgießmaschinen steht die Einreihungsmöglichkeit der Position 7326 Waren aus Stahl. Beide Positionen können demnach gleichberechtigt in Betracht gezogen werden. Gemäß der Allgemeinen Vorschrift wäre diese dann in die Pos. 8471 90 einzureihen.

 

Fazit

Die Eintarifierung hat ihre ganz eigenen Regeln und ist, wie einleitend bereits erwähnt, nicht immer mit der menschlichen Logik analog. Das Einreihen ist allerdings auch kein „Hexenwerk“, wenn man die Allgemeinen Vorschriften akzeptiert und anwendet. Denn am Ende kann es nur eine Tarifnummer für die einzureihende Ware geben.

Der Autor

Stefan Balling ist als Zollreferent bei der Max-Planck- Gesellschaft in München tätig.

Als langjähriger Zollreferent und mit über 30 Jahren Berufserfahrung in der Materie Zoll und Außenhandel in den Bereichen Dienstleistung, Telekommunikation und Maschinenbau hat er sich zum Fachmann entwickelt. Darüber hinaus ist er als selbstständiger Dozent in der Fachrichtung Import und Export tätig.

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